Erhalten und umbauen statt abreißen und neu bauen
Mit dem sogenannten Abrissmoratorium richteten sich schon letztes Jahr Architekten und Organisationen wie die AfA – Aktiv für Architektur, die Architects for Future, Architektenkammer Berlin, Architektenkammer der Freien Hansestadt Bremen, Baukammer Berlin, der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA, die Deutsche Umwelthilfe e.V., der Deutsche Werkbund Berlin, GermanZero e.V. und der NABU Bundesverband in einem Offenen Brief an die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz. Tenor: Erhalt und Umbau statt Abriss und Neubau – denn das schont die Umwelt beträchtlich. Und bietet auch sonst einige Vorteile.
Abriss bedeutet einen riesigen Energieverbrauch und ist oft unnötig
In diesem Offenen Brief rechneten die 170 Erstunterzeichner vor: Im Jahr 2021 entstanden in Deutschland 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle bei 14.090 Gebäudeabrissen. Das ist nur die statistisch erfasste Zahl, denn manche Abrisse sind nicht genehmigungs-, nur anzeigepflichtig und werden oft gar nicht erfasst. Doch allein die erfassten Abrisse machen schon 55 Prozent des gesamten deutschen Abfalls aus. Damit sei der Gebäudebereich für etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich.Außerdem seien durch die gängige Abriss-Praxis 1,9 Millionen Quadratmeter Wohnfläche sowie 7,5 Millionen Quadratmeter Nutzfläche vernichtet worden. Seit längerem schon sind viele Architekten der Ansicht, dass oft viel zu schnell abgerissen werde, statt über eine – oft gar nicht so schwierige - Umnutzung, über einen sinnvollen Umbau nachzudenken. Neubaupläne seien viel zu schnell auf dem Tisch, stellen sich manchmal sogar ganz bewusst gegen den Denkmalschutz – und setzen sich damit auch noch durch.
Das alles sei völlig unverantwortlich, stellen die Unterzeichner dieses Offenen Briefes fest – und fordern ein Umdenken:
Die „Bauwende“
Erst einmal sollte die gängige Abrisspraxis für einen noch zu definierenden Zeitraum bewusst ausgesetzt werden. Der Architects for Future Deutschland e.V. hat dafür auch gleich schon eine Muster(um)bauordnung vorgeschlagen – die läuft auf eine Umsetzung der „Bauwende“ zur Erreichung der Klimaschutzziele hinaus. Eine solche Bauwende ist aus Sicht aller Beteiligten dringend notwendig, weil andernfalls niemals die Ziele der Klimaneutralität erreicht werden können. Es wird dabei aber keineswegs nur „gedroht“ – solche Überlegungen bringen auch einige Positiv-Effekte ans Licht.
Konkrete Forderungen aus der Muster(um)bauordnung
Für die “Bauwende” sind neben den dringend erforderlichen Änderungen des Gebäudeenergiegesetzes auch Änderungen der Bauordnung, der Baunutzungsverordnung und der Normen, die das Bauen betreffen, erforderlich. Dazu ist eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig:
- Klimaneutrales Bauen soll das Mindestmaß bei allen Bauvorhaben sein – ansonsten sind die Baupläne unzulässig.
- Kommt es zu Abrissen, soll das Material recycelt und nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft wieder/weiter genutzt werden. Konkret: technische und natürliche Materialkreisläufe müssen verbindlich eingeführt werden. Jede „Ressourceninanspruchnahme“ sollte - wie das Abfallaufkommen - nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip auf ein absolutes Minimum reduziert werden.
- Ein weiterer Fokus sollte auf Aufbau und Einhaltung technischer und natürlicher Kreisläufe liegen. Dazu gehören auch Optimierung und Digitalisierung der Baudokumentation von Bauwerken, Bauteilen, Materialien und Rohstoffen primärer und sekundärer Art.
Dass derartige Forderungen alles andere als eine Art Aktionismus angesichts allzu schwer erreichbarer Klimaziele sind, machen rasch einige Fakten deutlich: Der Herstellungsprozess von Zement inklusive Transport und aller dafür benötigter Energie produziert pro Tonne Zement auch gleich eine Tonne Kohlendioxid. Auf diese Weise werden für Neubauprojekte 35 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr erzeugt.
Da liegt die Frage wirklich nahe:
Müssen es immer Neubauprojekte sein?
Sicher: Wohnraum ist und bleibt knapp, 400.000 Wohnungen sollten pro Jahr neu gebaut werden, um diese Misere zu stoppen.
Einerseits. Doch andererseits gibt es Bestandsimmobilien, die mit ein wenig Umsicht und Sachverstand sehr wohl (wieder) der Wohnnutzung zugeführt werden könnten. Optisch oft sogar ansprechender als so mancher angebotener Neubau. Doch das ist Geschmackssache.Unstrittig ist dagegen, dass die „Energieeffizienzklassen“, nach denen Immobilien bisher bewertet werden, nur einen Teil der tatsächlich verbrauchten Energie ausweisen können. Nicht berücksichtigt wird dabei die sogenannte Graue Energie. Auch die wird in dem Offenen Brief an die Bundesbauministerin angesprochen. Mit „grauer Energie“ ist der indirekte Energiebedarf gemeint, der bei Abbau, Herstellung und Transport von Materialien, bei der Fertigung, dem Bau und allen Installationen eines Gebäudes anfällt.
Rechnet man diese Faktoren mit ein, erkennt man, dass rund 80 Prozent der beim Bauen erzeugten Schadstoffe in Rohbauten stecken. Eine Komplettentkernung und -sanierung von Bestandsgebäuden dagegen würde nur etwa ein Fünftel der CO2-Emissionen produzieren, die bei Neubauten entstehen.
Dazu kommt: Wenn Bestandsimmobilien umgebaut und den Bedürfnissen von heute Wohnraum suchenden Menschen angepasst werden, entstehen häufig vorher nicht berücksichtigte soziale Komponenten.
Die Chancen umgebauter Immobilien
Das mag in vielen Fällen an der Gebäudesubstanz liegen: Ein aufgegebenes Kloster, eine schon lang brachliegende Fabrik, das ehemalige Gefängnis oder ein alter Hotelkomplex sind nicht das, was dem Neubaukonzept von „Wohn-, Schlafzimmer, Küche, Bad, Balkon, Türen zu und fertig“ entspricht. Da entstehen plötzlich auch Gemeinschaftsräume, Treffpunkte, große Gartenterrassen, ein Innenhof und Ähnliches – soziale, häufig auch kulturelle Treffpunkte werden möglich, an die vorher niemand gedacht hatte.
Damit das nicht zu einer Art neu-elitären Wohnens führt, ist allerdings Vorsicht geboten, auch davor warnt das Moratorium: „Die Erhaltung darf sich nicht auf einen kleinen Teil von repräsentativen Denkmälern beschränken, sondern muss den gesamten Baubestand umfassen.“ Bedeutet: Auch unspektakuläre Bauten müssen vor ihrem Abriss erst einmal auf Erhaltbarkeit geprüft werden.
Denkmalschutz spielt an dieser Stelle gar keine Rolle. Denn solche alten Immobilien, oft völlig durchschnittlich oder sogar unansehnlich, galten bisher niemandem als schützenswert. Mit einem Umdenken in Richtung Klimaneutralität und „Bauwende“ könnten sie allerdings ganz anders bewertet werden: als durchaus schützenswert.
Hinweis zu Rechtsthemen: Sämtliche Texte wurden aufwendig recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Wir können trotzdem keine Garantie für die Korrektheit, Aktualität oder Vollständigkeit der präsentieren Informationen gewähren. Bitte wenden Sie sich bei Rechts- und Steuerfragen stets an einen fachkundigen Anwalt oder Steuerberater.
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